Wir haben es satt
Antibiotikaeinsatz in der Hühnermast, Hühnerpest in Asien, in Mexiko sterben Menschen an der Schweinepest, Lidl ruft Dosenpilze wegen möglicher Gesundheitsgefährdung zurück. Dies sind nicht die Lebensmittelskandale der vergangenen Jahre oder Monate, nein, es sind Meldungen in einer Woche Anfang Januar 2012.
Dazu die nahezu täglichen Meldungen über die Zustände in der industriellen Massentierhaltung in Deutschland: Zehntausende Hühner in Ställen ohne Tageslicht, ohne Freilauf, mit viel zu wenig Platz für das einzelne Tier. Automatisierte Milchställe mit Kühen, denen man die Hörner entfernt hat, damit sie sich oder den Landwirt in der Enge nicht verletzen. Schweineställe ohne Tageslicht mit Schweinen ohne Schwänze, damit sie sie sich nicht gegenseitig abfressen. Puten mit abgeschnittenen Schnäbeln, die oft durch das viel zu hohe Mastgewicht völlig deformiert sind und am Ende ihres nur dreiwöchigen Lebens Schmerzmittel brauchen, weil sie vor lauter Muskeln nicht mehr aufstehen können. Und dazu die ständigen Versuche der Gentechnikkonzerne, in Deutschland doch noch irgendwie Fuß zu fassen, und wenn es über den Umweg kontaminierten Futters ist.
Viele Verbraucher haben all das satt. Aber nicht nur sie. Auch immer mehr Landwirte wollen da nicht mehr mitmachen. Sie wollen gesunde Nahrung herstellen – egal ob bio oder konventionell. Sie wollen eine artgerechte Tierhaltung praktizieren und ihre Böden auch für zukünftige Generationen erhalten.
Und so demonstrierte zum Auftakt der Grünen Woche in Berlin eine breit gefächerte Menschenmenge für die bäuerliche Landwirtschaft, gegen Massentierhaltung, gegen die Agrogentechnik und die Patentierung von Leben. Über 40 Verbände der Bauern, Verbraucherschützer, Umweltschützer und Tierschützer hatten zu der Demo in Berlin aufgerufen, die direkt vor dem Kanzleramt mit einer großen Kundgebung endete. Über 23 000 Menschen waren trotz Schneegestöbers und eisiger Temperaturen einem langen Zug von Traktoren gefolgt. Mit vielfältigen Aktionen, Kostümen, Fahnen und Infoständen wurde informiert und auf die Probleme aufmerksam ge- macht.
„Wir Grüne stellen dem industriellen Modell das bäuerliche Modell gegenüber. Eine bäuerliche, das heißt eine sozial, ökologisch und wirtschaftlich nachhaltige Landwirtschaft mit regional angepaßter Größenstruktur ist die richtige Antwort auf die großen Herausforderungen unserer Zeit: Nur sie stärkt die Ernährungssouveränität und schützt das Klima, erhält die biologische Vielfalt und schont das Wasser und den Boden. Sie ist kein Relikt der Vergangenheit, sondern eine hochaktuelle Forderung und im besten Sinne modern.
Was wir meinen, wenn wir bäuerlich sagen
Jeder Mensch, ob aus der Stadt oder vom Land, verbindet mit dem Bauernhof sofort die Vorstellung, Kühe auf der Weide, Schweine im Stroh, Hühner auf dem Mist, Felder, Feldwege und Bäche, Obstbäume und Gemüse, Trecker auf dem Acker, die Scheune voller Heu, Bäuerin und Bauer. Der Bauernhof ist wie ein Kindheitstraum, ein schöner Ort. Nicht umsonst wird diese heile Welt des Bauernhofes auch und vor allem dort bemüht, wo sie gar nicht mehr existiert, etwa in der Werbung für Produkte aus der Agrarindustrie.
Denn bei aller romantischen Verklärung steckt im Bild vom Bauernhof doch genau das Sinnbild dessen, was gute Landwirtschaft ausmacht. Etwas technischer ausgedrückt heißt das: nachhaltige Erzeugung qualitativ hochwertiger Lebensmittel, artgerechte Tierhaltung, Klima- und Umweltschutz, Erhalt der Biodiversität, dezentrale regenerative Energieerzeugung, unternehmerische Selbstständigkeit und gute Arbeitsplätze für Familienarbeitskräfte und Arbeitnehmer. Oder wie wir es in der EU nennen: das europäische Agrarmodell einer multifunktionalen Landwirtschaft, die nicht nur Lebensmittel produziert, sondern auch Kulturlandschaft pflegt, öffentliche Güter bereitstellt, lebendige ländliche Räume schafft und Einkommen generiert.
Das ist die Landwirtschaft, die wir meinen.“ (aus: Ein grünes Leitbild für die Landwirtschaft)
Ursula Pfäfflin Nefian