Sophia Guttenberger, Referentin für Landwirtschaft beim Umweltinstitut München e.V.
Nun auch gentechnisch veränderte Wildtiere?
Seit über 25 Jahren versuchen Agrarkonzerne, gentechnisch veränderte Pflanzen auf den europäischen Markt zu bringen. Dank des breiten Widerstands in weiten Teilen der Bevölkerung, die in einer starken EU-Richtlinie mündete, ist ihnen dies bis heute nicht gelungen. In Deutschland sind die Äcker seit 2009 gentechnikfrei, in anderen Ländern wie Peru, Madagaskar oder Algerien ist nicht nur der Anbau, sondern auch der Import genmanipulierter Pflanzen als Lebens- oder Futtermittel verboten. Doch die Agrarindustrie hat ihren Angriff auf unser Essen, die Natur und die Artenvielfalt nicht aufgegeben und neue Methoden entwickelt, die sogar noch viel tiefere Eingriffe in die Genome von Tieren und Pflanzen möglich machen. Die Grüne Post sprach darüber mit Sophia Guttenberger, Referentin für Gentechnik in der Landwirtschaft beim Umweltinstitut München e.V.
Grüne Post: Frau Guttenberger, die Agrarindustrie hat Methoden wie die Genschere CRISPR/Cas entwickelt. Was verbirgt sich hinter diesem Begriff? Wo soll diese Genschere eingesetzt werden und welche Folgen hätte sie für die betroffenen Tiere und Pflanzen?
Sophia Guttenberger: CRISPR/Cas stammt ursprünglich aus Bakterien, denen es zur Immunabwehr gegen Viren dient. Es schneidet die DNA einer Pflanze oder eines Tiers an einer bestimmten Stelle und kann dort entweder einzelne oder mehrere DNA-Bausteine herausschneiden oder einfügen. CRISPR/Cas macht es sogar möglich, mehrere Gene im selben Organismus gleichzeitig oder nacheinander zu manipulieren. Diese noch sehr neue Gentechnikmethode greift tief in das bis heute von uns nicht vollständig verstandene Erbgut lebender Organismen ein und kann dieses grundlegend verändern. Mit dieser neuen Eingriffstiefe ins Genom sind große Risiken verbunden. Auch die Geschwindigkeit, mit der sich Mutationen erzeugen lassen, erhöht das Risikopotential von CRISPR/Cas und anderen neuen Verfahren. Zudem schneidet die Genschere auch an ungewollten Stellen in der DNA und kann so zu unerwünschten Nebeneffekten führen, mit ungewissem Ausgang. Im Extremfall kann man damit sogar ganze Chromosomen „löschen“. Zum Beispiel wurden mittels der neuen Gentechnikmethode „TALEN“ hornlose Rinder erzeugt, denen ungeplant vollständige Genkonstrukte übertragen wurden, die eine Resistenz gegen Antibiotika vermitteln können.
Zudem wird mit den neuen gentechnischen Verfahren ein Agrarsystem fortgeschrieben, das viele der Probleme geschaffen hat, mit denen die Landwirtschaft heute konfrontiert ist. Beispielsweise sind auch hier wieder Pflanzen geplant, die als einzige Pflanzen auf dem Acker das Besprühen mit bestimmten Herbiziden überleben. Der massenhafte Einsatz der entsprechenden Herbizide ist hierbei vorprogrammiert. Genmanipuliertes, Glyphosat-resistentes Soja überzieht bereits heute die Felder in den USA, in Argentinien und Brasilien, mit verheerenden Folgen für das Bodenleben, die Artenvielfalt und die Gesundheit der dortigen Bevölkerung. Propagiert werden auch die bereits erwähnten Kühe ohne Hörner und Schweine ohne Schwänze, also Tiere die "besser" an die Zumutungen der quälerischen Massentierhaltung angepasst sein sollen. Das damit einhergehende Tierleid wird gerne von den Befürworter*innen ausgeblendet. Wir brauchen eine tiergerechte Haltung und eine entsprechende Züchtung – statt massenhafte Tierversuche, die der Anpassung der Tiere an krankmachende Höchstleistungsziele dienen sollen.
Grüne Post: Eine weitere, evtl. noch größere Gefahr sehen Sie in den sogenannten „Gene Drives“. Was versteht man darunter und wo und wie sollen sie eingesetzt werden?
Sophia Guttenberger: Mit Hilfe neuer Gentechnikmethoden wie CRISPR/Cas sollen in Zukunft auch die Gene von wildlebenden Tieren und Pflanzen gentechnisch verändert werden. Dazu wurden in den letzten Jahren die sogenannte Gene Drives entwickelt. Mit dieser Technologie kann der Mensch neue Gene in das Erbgut wildlebender Tiere einschleusen, sodass sich diese in den entsprechenden Wildtierpopulationen verbreiten. Denn Gene Drives erzwingen die Vererbung von neu eingeführten Genen an sämtliche Nachkommen. Und das sogar dann, wenn dies die Überlebenschancen der betroffenen Art senkt. Im Extremfall könnten damit ganze Arten ausgerottet oder wildlebende Populationen durch gentechnisch veränderte Organismen ersetzt werden.
Grüne Post: Welchen Sinn macht es, nun auch wildlebende Arten gentechnisch zu verändern, zu ersetzen oder sogar vollständig auszurotten?
Sophia Guttenberger: Bislang vorgeschlagene Anwendungsgebiete für Gene Drives umfassen vor allem die Ausrottung oder Veränderung von Insekten und Nagetieren, mit dem propagierten Ziel, die Übertragung von Infektionskrankheiten zu verhindern. Derzeit werden erste Feldversuche mit genmanipulierten Gene-Drive-Mücken in Burkina Faso geplant. Hier soll getestet werden, ob diese Technologie die Anopheles-Mücke als Überträger von Malaria ausrotten kann. Was als Maßnahme zur Bekämpfung einer gefährlichen Krankheit zunächst gut klingt, kann katastrophale Folgen für das Ökosystem haben: Fehlen beispielsweise eine Mückenart und ihre Larven, so bricht eine Nahrungsquelle für Vögel, Fische und andere Tierarten weg. Ganze Nahrungsnetze könnten so zusammenbrechen und im schlimmsten Fall damit sogar ganze Ökosysteme kollabieren. Was wir brauchen sind wirksame Alternativen. Diese müssen aber auch entsprechend gefördert werden. Erfreulicherweise wird derzeit in einer vielversprechenden Studie eine Impfung gegen Malaria getestet.
Vor dem Hintergrund, dass wir derzeit das größte Artensterben seit dem Verschwinden der Dinosaurier erleben macht es überhaupt keinen Sinn, gezielt noch mehr Arten auszurotten oder sie mit ungewissem Ausgang zu verändern. Wir müssen die bestehenden Arten unbedingt schützen. Und nicht nur das, wir müssen die Vielfalt an Rassen, Sorten, wilden Arten und Lebensräumen fördern, ebenso wie die genetische Vielfalt. Denn nicht die vermeintliche Optimierung weniger, anfälliger Hochleistungsexemplare, sondern eine möglichst große Vielfalt sorgen für eine optimale Anpassung an lokale Bedingungen und minimieren das Risiko von Missernten und Krankheiten.
Grüne Post: In Zusammenhang mit Gentechnik kommt auch das Patentrecht ins Spiel. Wo sehen Sie hier die Gefahren?
Sophia Guttenberger: Der Streit um die Patente auf die neuen Gentechnikverfahren sowie die daraus entstehenden „Produkte“, also die Mikroorganismen, Pflanzen und Tiere, tobt seit Jahren. Mit den neuen Gentechniken rollt also eine weitere Welle der Patentierung von Lebewesen und deren Eigenschaften sowie der Methoden an, die zu einer noch größeren Konzentration des Agrarmarktes in der Hand weniger Konzerne führt. Mithilfe von Patenten auf Pflanzen und Tiere ist es den Agrarkonzernen möglich, die gesamte Lebensmittelkette zu kontrollieren. Sie bemächtigen sich der züchterischen Arbeit, die Landwirt*innen auf der ganzen Welt seit Jahrtausenden leisten. So geraten die Bauern und Bäuerinnen in zunehmende Abhängigkeit einiger weniger Agrarkonzerne die bestimmen können was, wo und wieviel auf den Äckern wächst, welche Tiere in den Ställen und auf den Weiden stehen und welche Lebensmittel in den Läden verkauft werden.
Grüne Post: Einmal freigesetzte gentechnisch veränderte Organismen sind nicht mehr rückholbar. Damit wird nicht nur Bioanbau durch Auskreuzungen unmöglich, die langfristigen Veränderungen auf das komplette Ökosystem sind unabsehbar. Wie steht die Bundesregierung, insbesondere die Landwirtschaftsministerin Julia Klöckner, dazu?
Sophia Guttenberger: Unsere amtierende Landwirtschaftsministerin steht der Nutzung der Agrogentechnik sehr positiv gegenüber. Das hat sie bereits diverse Male klar gemacht, so auch wieder nach der Veröffentlichung eines Berichts der EU-Kommission zur neuen Gentechnik. Aus dem Bericht geht hervor, dass die Kommission eine Aufweichung des geltenden Gentechnikrechts anstrebt.
Ihre Kollegin, Umweltministerin Schulze hingegen, sieht das kritischer. Sie ist für eine strikte Regulierung alter und auch neuer Gentechnik. Ministerin Schulze steht für die Erhaltung der Wahlfreiheit und des Vorsorgeprinzips. Dies deckt sich weitgehend mit dem, was auch wir als Umwelt- und Verbraucherschutzorganisation fordern.
Im Koalitionsvertrag steht dazu: Die Bundesregierung werde „auf europäischer oder gegebenenfalls nationaler Ebene Regelungen vornehmen, die das Vorsorgeprinzip und die Wahlfreiheit gewährleisten.“ Zudem stehe sie für ein „bundesweites Gentechnikanbau-Verbot“. Die anstehenden Wahlen werden mitbestimmen, wie sich Deutschland dann künftig zu Gentechnik positioniert. Doch viel entscheidender ist der anstehende Prozess um die Regulierung neuer Gentechnikmethoden und der daraus entstehenden Pflanzen und Tiere auf europäischer Ebene. Die drohende Deregulierung müssen wir unbedingt verhindern.
Grüne Post: Welche Möglichkeiten hat jede*r einzelne, sich gegen diesen Irrsinn zu wehren?
Sophia Guttenberger: Was wir jetzt brauchen ist eine aufgeklärte Öffentlichkeit. Es ist also wichtig mit Freund*innen, Verwandten und Kolleg*innen darüber zu sprechen, dass eine Deregulierung der Gentechnik in Europa droht. Denn nur eine aufgeklärte Öffentlichkeit kann Druck auf die Politik ausüben. Zudem könnte man Leserbriefe an die Lokalpresse schreiben. Dann wird die Aufmerksamkeit der Presse auch auf die Stimmen aus der Zivilbevölkerung und ihre Argumente und Bedenken gelenkt. Zudem hilft es, Informationsmaterial zu verteilen, wie wir es zum Beispiel auch anbieten. Das muss in diesen Tagen aber natürlich Corona-konform stattfinden. Eine weitere Möglichkeit ist die Teilnahme an Online-Aktionen zu dem Thema. Auf der Homepage des Umweltinstituts finden Bürgerinnen und Bürger derzeit eine gemeinsame Aktion gegen Gene Drives („Gene Drives stoppen!“) mit unseren europäischen Partnerorganisationen.
Grüne Post: Vielen Dank für dieses Gespräch und die vielen Wichtigen Informationen!
Das Gespräch führte Ursula Pfäfflin Nefian