Sven Giegold, MdEP (Foto: Wienken)

Die EU waren wir alle!

Interview mit Sven Giegold, grüner Abgeordneter des Europaparlaments, zu den EU-Entscheidungen über Glyphosat und Neonikotinoiden

Grüne Post: Im April 2018 verbot die EU drei Neonikotinoide. Wie habt Ihr das geschafft?

Sven Giegold: Die EU waren auch hier wir alle! Seit Jahren mobilisieren Orga­ni­sationen wie Campact, der BUND und die “Wir haben es satt”-Bewegung für eine lebensbejahende Landwirtschaft und vor allem für die Bienen. Die Diskussion um das Insekten- und Vogelsterben ist zu einem Mega-Thema geworden. Auch bei meiner Internet-Petition mit Martin Häus­ling zum Verbot der drei Neonikotinoide haben über 160.000 Menschen unter­schrie­ben. Den Ausschlag gegeben hat die öffentliche Mobilisierung und viele wissenschaftliche Studien, die die Gefähr­lichkeit der drei Pestizide für unsere Bienen belegen. Erschreckend ist, dass es mit dem Verbot so lange gedauert hat, obwohl die EU zum Vorsichtsprinzip auch in Umweltfragen verpflichtet ist.

Grüne Post: Es gibt aber noch zahlreiche andere Neonikotinoide und die Industrie entwickelt wohl ständig neue. Wie soll es hiermit weitergehen?

Sven Giegold: Dank der Europäi­schen Bürgerinitiative „Stopp Glypho­sat“ mit 1,3 Millionen Unterschriften in ganz Europa hat die EU-Kommi­ssion eine Veränderung der Zulas­sungs- und Verbotsverfahren für gif­tige Chemikalien vorgeschlagen. Das Europaparlament hat dazu eigens einen Sonderausschuss mit dem treffenden Namen „PEST“ einge­richtet. Es muss darum gehen, dass gefährliche Pestizide viel schneller aus dem Verkehr gezogen werden. Denn sehen wir den Tatsachen ins Auge: Es geht nicht um einzelne Chemikalien. Letztlich brauchen wir eine Landwirtschaft, die unsere Mitwelt leben lässt. Das geht nur mit einer giftfreien Landwirtschaft. Dazu muss die EU-Agrarpolitik konsequent beitragen. Deshalb machen wir das zu einem Schwerpunkt unseres Europawahl­kampfs!

Grüne Post: Bei Glyphosat lief es ja nicht so gut. Trotz Europaweiter Ab­lehnung in der Bevölkerung schaff­te es Deutschland, oder wohl eher Bayer, die Zustimmung durch den damaligen Landwirtschafts­minister Schmidt durchzusetzen. Wie hast Du diese Entscheidung erlebt?

Sven Giegold: Das war ganz bitter. Es hatte sich schon abgezeichnet, dass die Entscheidung der Mitglieds­länder ganz knapp würde. Die CSU hat leider zwei Gesichter. Da ist der nette Minister Müller, der redet wie ein Grüner. Und da sind Leute wie Dobrindt, Schmidt oder Innenminister Seehofer, die sich irgendwo zwi­schen FDP und AfD aufstellen. Es war klar, dass die Bundesregierung bei Glyphosat gespalten war. Es ist für mich unverständlich, warum die SPD diesen Alleingang von Schmidt hingenommen hat.

Grüne Post: Es gab durch Euch den Versuch, ein europäisches Volks­be­gehren zum Thema Glyphosat zu erreichen. Wie ist da der Stand?

Sven Giegold: Leider gibt es keine europäischen Volksbegehren. Das haben wir ja leider nicht einmal auf Bundes­ebene in Deutschland. Es gibt die Euro­päische Bürgerinitiative, bei der minde­stens eine Millionen Menschen aus mindestens sieben EU-Ländern die EU-Kommission zu einer Initiative auffordern können. Die Auffor­derung ist aber für die EU-Kommission nicht verbindlich. Das hatte bei der Initiative gegen die Wasser­privatisierung großen Erfolg. Die meisten Unterschriften gab es gegen TTIP, was jedoch zunächst wirkungslos blieb. Die Initiative gegen Glyphosat hatte immerhin teilweise Erfolg, denn der Text der Initiative zielte vor allem auf ein besseres Zulassungs­ver­fahren. Das ist auf dem Wege.

Grüne Post: Die Agrarindustrie behauptet immer, ohne Glyphosat, Neonikotinoide usw. könnte die Weltbevölkerung nicht ernährt werden. Wenn wir hier in Europa diese Stoffen verbieten würden müssten anderswo die Men­schen verhungern. Wie siehst Du das?

Sven Giegold: Hier gilt wieder der kluge Satz von Gandhi: „Die Welt hat genug für jedermanns Bedürfnisse, aber nicht für jedermanns Gier“. Ökologische, bäuer­liche Landwirt­schaft kann auch eine noch größere Weltbevölkerung gut und gesund versorgen. Aber der Verbrauch von tierischen Produkten wie Fisch, Fleisch und Milchprodukte auf euro­päischem oder nordamerika­ni­schem Niveau ist nicht auf die ganze Welt übertragbar. Wenn wir Öl mit nachwachsenden Rohstoffen erset­zen wollen und auch Platz für Wildnis bleiben soll, müssen wir Menschen lernen, uns Grenzen zu setzen. Aber mit weniger tierischen Produkten können wir trotzdem besser leben. Denn ökologisch und fair hergestellte Nahrungsmittel fühlen sich nicht nur besser an, sie haben auch eine höhere Qualität.

Grüne Post: Vielen Dank für dieses Gespräch.

Das Interview führte Ursula Pfäfflin Nefian